Sonderurlaub (§§ 29 und 29a AVR / § 28 TVöD)
1) § 29 AVR und § 29a AVR
Die AVR sehen drei verschiedene Arten von Sonderurlaub vor:
a) den im § 29 Abs. 2 AVR aufgeführten Fall bei fachlichen Fort- und Weiterbildungen, für den Sonderurlaub in angemessenem Umfang (mit oder ohne Bezahlung) gewährt werden kann,
b) den im § 29 Abs. 3 AVR aufgeführten Fällen, bei denen unter Vorliegen eines wichtigen Grundes Sonderurlaub ohne Bezahlung gewährt werden kann. Wurde vorher das dienstliche Interesse an dem Sonderurlaub schriftlich erklärt, zählt die Zeit als Beschäftigungszeit nach § 11,
c) den in § 29a Abs. 1 aufgeführten Fällen:
Auf Antrag ist unter Fortfall der Bezüge zu beurlauben, wer
a) ein Kind unter 18 Jahren oder
b) eine nach ärztlichem Gutachten pflegebedürftige Angehörige bzw. einen nach ärztlichem Gutachten pflegebedürftigen Angehörigen
tatsächlich betreut oder pflegt und dringende dienstliche oder betriebliche Verhältnisse dem nicht entgegenstehen.
2) § 28 TVöD
Im TVöD ist nur der Sonderurlaub bei Vorliegen eines wichtigen Grundes unter Verzicht der Entgeltzahlung vorgesehen.
Im Unterschied zu den AVR oder zum BAT wird der Sonderurlaub zur Erziehung von Kindern unter 18 Jahren oder zur Pflege von Angehörigen im TVöD nicht mehr vereinbart.
Somit bleibt Eltern nur noch der Rechtsanspruch nach dem ab 1. Januar 2007 geltenden Elterngeld- und Elternzeitgesetz bis höchstens zum dritten Lebensjahr des Kindes.
Der Anspruch auf Sonderurlaub zur Pflege eines Angehörigen ist aus dem Tarifvertrag ganz weggefallen, jedoch bestehen hier Ansprüche aus dem Pflegezeitgesetz
Entsprechend der Rechtssprechung zum ehemaligen § 50 BAT kann jedoch über das Vorliegen eines
wichtigen Grundes folgendes ausgeführt werden:
Sonderurlaub aus wichtigem Grund - Voraussetzungen
- Wichtiger Grund
- Betriebliche oder dienstliche Belange
- Ermessensentscheidung
Die Gewährung von Sonderurlaub unter Verzicht auf Bezüge ist nach § 29 Abs. 3 AVR oder § 28 TVöD an zwei Voraussetzungen gebunden: zum einen muss ein wichtiger Grund vorliegen und zum anderen müssen die dienstlichen und betrieblichen Verhältnisse das Fernbleiben des Angestellten vom Dienst erlauben.
Wichtiger Grund
Der Angestellte muss den wichtigen Grund darlegen. Dieser liegt im Allgemeinen im
Interessenbereich des Angestellten. Er ist daher nach der Interessenlage des Angestellten
zu beurteilen.
Als wichtiger Grund kann z.B. anerkannt werden:
- Berufsbildung bzw. Aufnahme oder Fortführung eines Fach- oder Hochschulstudiums, Promotion, Besuch von Fortbildungsveranstaltungen
Praxis-Beispiel
Eine Angestellte, die eine Fortbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin anstrebt, hat grundsätzlich einen wichtigen Grund vorzuweisen. Ist es ihr jedoch aufgrund der Familienverhältnisse und sonstigen Verpflichtungen möglich, auch Abendkurse zu besuchen, so ist dies im Einzelfall trotz der längeren Ausbildungszeit ein Fall, in dem kein wichtiger Grund gegeben ist. - Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation, die nicht von § 37 bzw. § 71 BAT erfasst werden
- Kurzwehrdienst ausländischer Arbeitnehmer, für die weder die Vorschriften des Arbeitsplatzschutzgesetzes noch die einschlägigen Vorschriften des EG-Rechts Anwendung finden
- Teilnahme an Rehabilitationslehrgängen wie z.B. Mobilitätstraining für Blinde, Geh- und Armschullehrgänge von schwerbehinderten Bediensteten
- Entsendung von Bediensteten in öffentliche, zwischen- oder überstaatliche Organisationen
- Freistellung für Tätigkeiten bei anderen Arbeitgebern z.B. aufgrund eines im dienstlichen oder betrieblichen Interesse liegenden Personalabbaus
- Übernahme von Aufgaben der Entwicklungshilfe
- Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres
- Kollision der Arbeitspflicht mit einer weiteren öffentlich-rechtlichen oder in sonstiger Weise anerkennenswerten Pflicht.
- Natürlich ist auch die Erziehung eines Kindes als wichtiger Grund anzuerkennen. Der Unterschied zur Regelung im BAT besteht jedoch darin, dass nunmehr der Gewährung nur einfache und nicht mehr dringende dienstliche oder betriebliche Belange im Wege stehen können.
Betriebliche oder dienstliche Belange
Weiterhin muss die Beurlaubung mit den betrieblichen oder dienstlichen Interessen
vereinbar sein. Hierbei kann z.B. eine befristete Ersatzeinstellung zur Herbeiführung
der Vereinbarkeit führen. In einem solchen Fall ist aber zu prüfen, ob eine befristete
Einstellung möglich ist und dem Angestellten zugemutet werden kann, den Sonderurlaub
erst nach Eintreffen der Ersatzkraft anzutreten.
Allein die Furcht, mit der Gewährung von Sonderurlaub einen Präzidenzfall zu verschaffen,
rechtfertigt die Ablehnung nicht.
Praxis-Beispiel
Ein Krankenpfleger hat auf dem zweiten Bildungsweg die Zulassung zum Fachhochschulstudium
erworben und möchte das Studium der Sozialökonomie aufnehmen. Er beantragt Sonderurlaub.
Das BAG (Urt. v. 30.10.2001 - 9 AZR 426/00) hat zunächst festgestellt, die Aufnahme
eines Studiums stelle regelmäßig einen wichtigen Grund i.S.v. § 50 Abs. 2 BAT (und
insofern vergleichbar von § 29 Abs. 3 AVR oder § 28 TVöD) dar.
Auch gestatten die betrieblichen oder dienstlichen Verhältnisse die Gewährung des
Sonderurlaubs, wenn die vorübergehend frei werdende Stelle durch eine befristet
einzustellende Ersatzkraft besetzt werden kann. Hierum muss sich der Arbeitgeber
auch tatsächlich bemühen. Dem steht nicht entgegen, dass während der Einarbeitungsphase
- hier etwa vier Wochen - qualifiziertes Stammpersonal gebunden wird, das dann in
der Pflegedienstleistung der Klinik fehlt. Dies sei typische Folge der Beurlaubung
eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz nicht unbesetzt bleiben soll.
Die dem Klinikum abzuverlangenden Bemühungen überstiegen nicht den organisatorischen
Aufwand, wie er üblicherweise mit jeder vorübergehenden Nachbesetzung verbunden ist.
Ermessensentscheidung
Liegen die beiden genannten Voraussetzungen vor, hat nunmehr der Arbeitgeber eine
Ermessensentscheidung zu treffen. Die Ermessensausübung erfolgt nach billigem Ermessen
(§ 315 Abs. 1 BGB), d.h., durch Abwägung des Einzelfalls soll der Arbeitgeber die
Interessenlage analysieren und bewerten, um zu einem gerechten Ergebnis zu gelangen.
Die Entscheidung des Arbeitgebers ist gerichtlich überprüfbar.
Praxis-Beispiel
Fortsetzung des obigen Praxisbeispiels:
Da aufgrund der Aufnahme des Studiums ein wichtiger Grund vorliegt und betriebliche
Gründe wegen der Möglichkeit der Vertretung nicht entgegenstehen, ist eine
Ermessensentscheidung geboten. Hierzu ist eine faire Analyse und Bewertung der
Interessen beider Teile durch den Arbeitgeber erforderlich. Dass dies geschehen ist,
ist vom Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen. Für die Ermessensentscheidung ohne
Belang ist es, ob zwischen dem Studium und der vom Arbeitgeber vertraglich geschuldeten
Tätigkeit ein fachlicher Zusammenhang besteht und ob das Studium für die Tätigkeit als
Krankenpfleger nützlich und förderlich ist.
Zu Lasten des Arbeitnehmers können alle Umstände berücksichtigt werden, die mit seiner
Abwesenheit selbst unmittelbar verknüpft sind. Auch können möglicherweise die
Verhältnisse nach Beendigung des Sonderurlaubs berücksichtigt werden. So kann die vom
Arbeitnehmer beabsichtigte Bildungsmaßnahme zu seinen Lasten gewertet werden, wenn
wegen der Dauer seiner Abwesenheit die realistische Gefahr besteht, der fehlende Kontakt
zum Beruf werde sich nachteilig auf die spätere Arbeitsleistung auswirken, oder wenn
die Rückkehr des Arbeitnehmers derart wenig wahrscheinlich ist, dass im Interesse des
Arbeitgebers einer kontinuierlichen Besetzung des Arbeitsplatzes der Vorrang gebührt.
Bei der Entscheidung ist auch der Gleichbehandlungsgrundsatz zu berücksichtigen. Jedoch
kann aus der Gewährung des Sonderurlaubs für einen Angestellten nicht ohne weiteres
darauf geschlossen werden, dass bei Vorliegen des gleichen Grundes auch ein zweiter
Angestellter einen Anspruch auf Sonderurlaub hat. Vielmehr kommt es immer auf die
dienstlichen Verhältnisse im Entscheidungszeitpunkt an, die sich in der Zwischenzeit
verändert haben können. Es wird selten vorkommen, dass der spätere Fall mit dem
vorangehenden völlig gleich liegt. So kann es z.B. durchaus sein, dass in dem ersten
Fall die betrieblichen und dienstlichen Belange den Sonderurlaub zulassen, während der
zweite Antrag dann nicht mehr mit dem Betriebsinteresse zu vereinbaren ist oder eine
zweite Aushilfskraft nicht mehr zur Verfügung steht.
Dauer, vorzeitiges Ende und Unterbrechung des Sonderurlaubs
Die Dauer des Sonderurlaubs ist nicht festgeschrieben. Eine fünfjährige Gewährung von Sonderurlaub zur Aufnahme eines Studiums der Wirtschaftswissenschaften ist durchaus möglich.
Sonderurlaub aus wichtigem Grund - Folgen des Sonderurlaubs
Während des Sonderurlaubs nach § 29 Abs. 3 AVR oder § 28 TVöD bleibt das Arbeitsverhältnis
in seinem Bestand unberührt. Die allgemeinen Rechte und Pflichten aus dem
Arbeitsverhältnis bestehen weiter. Es ruht die Pflicht der Mitarbeiterin / des Mitarbeiters
zur Arbeitsleistung sowie die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung des Entgelts.
Hieran ändert sich auch nichts durch eine Erkrankung des Arbeitnehmers während der Zeit
des Sonderurlaubs. Es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Lohnfortzahlung gegen
den Arbeitgeber, auch wird die Dauer des Sonderurlaubs hierdurch nicht hinausgeschoben.
Die Zeit des Sonderurlaubs zählt gemäß § 29 Abs. 3 AVR bzw. § 34 Abs. 3 TVöD nicht als
Beschäftigungszeit. Der Sonderurlaub führt zu einer Reduzierung des Erholungsurlaubs
um 1/12 für jeden vollen Kalendermonat des Sonderurlaubs (§ 28a Abs. 4 AVR bzw. § 26 Abs. 2 Buchstabe c TVöD)
Stirbt der Angestellte während des Sonderurlaubs, entfällt der Anspruch auf Sterbegeld
nach § 26a Abs. 1 AVR bzw. § 23 Abs. 3 TVöD.
Auswirkungen hat der Sonderurlaub auf den Stufenaufstieg im TVöD bzw. den Bewährungsaufstieg
in den AVR:
nach § 16 Abs. 4 und TVöD werden die Zeiten des Sonderurlaubs nicht
auf den Stufenaufstieg angerechnet.
Bei einem Bewährungsaufstieg nach § 13a Abs. 5 Buchstabe a AVR sind Beurlaubungen bis
zu 6 Monaten unschädlich.
Darüber hinausgehende Beurlaubungen zur Kinderbetreuung sind
bis zu insgesamt 3 Jahren unschädlich (§ 13a Abs. 5 Buchstabe d AVR).
Ebenso unschädlich sind nach § 13a Abs. 5 Buchstabe e AVR Zeiten bei Sonderurlaub nach
§ 29 Abs. 3 und § 29a Abs. 1 bis 6 AVR.
Im Bereich der AVR besteht jedoch nach § 29 Abs. 3 Satz 2 AVR die Möglichkeit, dass der Arbeitgeber
vor Antritt des Sonderurlaubs ein dienstliches oder betriebliches Interesse an der
Beurlaubung schriftlich anerkennt. Dies hat zur Folge, dass die Zeit des Sonderurlaubs
als Beschäftigungszeit zählt. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist die
vorherige schriftliche Anerkennung eines dienstlichen oder betrieblichen Interesses
erforderlich. Eine mündliche oder spätere schriftliche Anerkennung genügt nicht.
Die Anerkennung kann u. U. auch auf einen Teil des Sonderurlaubs beschränkt werden.
Mit Beendigung des Sonderurlaubs tritt das Arbeitsverhältnis wieder voll in Kraft.
Es besteht jedoch kein Anspruch des Angestellten auf den früheren Arbeitsplatz.
Vielmehr kann ihm kraft Direktionsrechts auch ein anderer gleichwertiger Arbeitsplatz
zugewiesen werden.
Sonderurlaub und Nebentätigkeit
Zur Verhinderung eines Missbrauchs empfiehlt es sich, in den Bescheid über die
Genehmigung des beantragten Sonderurlaubs eine generelle Anzeige- und Genehmigungspflicht
jeder Nebentätigkeit aufzunehmen. Ausgenommen von der Genehmigungspflicht sind lediglich
die in § 66 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) und den entsprechenden Regelungen der Beamtengesetze der Länder aufgeführten Tätigkeiten.
Die Genehmigung ist allerdings grundsätzlich zu erteilen, es sei denn,
- die Nebentätigkeit läuft dem Zweck des Sonderurlaubs zuwider,
- die Mitarbeiterin / der Mitarbeiter würde in Widerstreit zu seinen dienstlichen Pflichten geraten,
- die Nebentätigkeit würde in einer Angelegenheit ausgeübt, in der die Dienststelle der Mitarbeiterin / des Mitarbeiters tätig war oder tätig werden kann,
- die Nebentätigkeit kann zu einer wesentlichen Einschränkung der künftigen Verwendbarkeit der Mitarbeiterin / des Mitarbeiters führen,
- die Nebentätigkeit ist dem Ansehen der Dienststelle der Mitarbeiterin / des Mitarbeiters abträglich.
Ablehnung eines Antrages auf Sonderurlaub
Die Ablehnung eines Antrages auf Sonderurlaub unterliegt nach § 42 Buchstabe k Mitarbeitervertretungsgesetz (MVG) der eingeschränkten
Mitbestimmungspflicht der jeweils zuständigen Mitarbeitervertretung. Sollte es also
Probleme mit der Genehmigung geben,
=> MAV
=> § 28 TVöD
=> Teilzeitbeschäftigung