Kirchengewerkschaft
Landesverband  B A D E N

kontrastreiche Ansicht

aus           an

Oktober 2010

Dezember 2007

Zum Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren

Zur Vermeidung von Missverständnissen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich diese Ausführungen nur auf die Zeugnisverweigerung in Strafverfahren beziehen, die unter Mitwirkung der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Strafgerichte z.B. wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung, Diebstahl, Betrug, Kindesmisshandlung und sexuellem Missbrauch durchgeführt werden; denn nur für Strafverfahren ist aufgrund der - äußerst fragwürdigen - gesetzlichen Regelung der §§ 53, 53a Strafprozessordnung das Zeugnisverweigerungsrecht

1. auf die Mitglieder einiger Berufe (u .a. Geistliche, Strafverteidiger, Rechtsanwälte, Steuerberater, Apotheker und Hebammen) und deren Gehilfen sowie

2. auf die Schwangerschaftskonflikt- und die Drogenberater/innen beschränkt

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25.01.2007 ist der Begriff des "Geistlichen" weit auszulegen, insbesondere ist er, entgegen der bisherigen Rechtsprechung, nicht an Ordination oder Priesterweihe gebunden. Wichtig ist allein die kirchliche Beauftragung. Alle, die von ihrer Kirche mit der Seelsorge beauftragt sind, können sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen, sofern die übrigen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.

(zum Zeugnisverweigerungsrecht in anderen Verfahren siehe den letzten Absatz).


Von diesen zwei Ausnahmen abgesehen, steht allen anderen Angehörigen pädagogischer und sozialer Berufe nach der gesetzlichen Regelung in §§ 53, 53a Strafprozessordnung (StPO) kein berufliches Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren zu.

Jedoch wird in § 54 Strafprozessordnung für "Richter, Beamte und andere Personen des öffentlichen Dienstes" bestimmt, dass diese nur mit Genehmigung ihres Dienstvorgesetzten in Strafverfahren aussagen dürfen. Das Oberlandesgericht Köln, die von ihm in der Begründung zitierte Kommentarliteratur und einige Gerichtsentscheidungen haben anerkannt, dass Mitarbeiter/innen einer kirchlichen Körperschaft des öffentlichen Rechts, zumindest wenn sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen, "als andere Personen des öffentlichen Dienstes" anzusehen sind und deshalb nur aussagen dürfen, wenn das Gericht vorher die Aussagegenehmigung des Dienstvorgesetzten eingeholt hat. Daraus folgt, dass alle Mitarbeiter/innen, die von einer kirchlichen Körperschaft des öffentlichen Rechts angestellt sind, unabhängig von der Art ihrer Tätigkeit die Aussage verweigern müssen, solange nicht die Genehmigung des Vorgesetzten vorliegt.

Den privatrechtlich organisierten kirchlichen Trägern (z.B. eingetragene Vereine, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Stiftungen privaten Rechts) und deren Mitarbeiter/innen wird zwar in der einschlägigen juristischen Rechtsprechung und Literatur in aller Regel kein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt. Diese herrschende Auffassung beruht aber darauf, dass die Strafrechtsspezialisten offenbar die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Umfang des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht kennen; denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, die bei einem mit Kirche organisatorisch und bekenntnismäßig verbundenen privatrechtlichen Rechtsträger angestellt sind (1.) und öffentliche Aufgaben erfüllen (2.):

1. Organisatorisch und bekenntnismäßig mit der Kirche verbunden sind z.B. Bistümer, Landeskirchen, Kirchengemeinden, Gemeindeverbände, Caritasverbände und Die konische Werke einschließlich der angeschlossenen Fachverbände und Einrichtungen, unabhängig von der Rechtsform. Caritative und diakonische Einrichtungen nehmen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kirchliche Aufgaben wahr, weil ,,die tätige Nächstenliebe eine wesentliche Aufgabe des Christen ist und als kirchliche Grundfunktion verstanden wird" (Bundesverfassungsgericht, AP Nr.24 zu Art. 140 GG). Erziehung im kirchlichen Dienst ist vom Bundesarbeitsgericht ausdrücklich als religiöse Betätigung anerkannt worden (BAG, Beschluss vom 14.4.1988, AP Nr.36 zu § 118 BetrVG 1972).

2. Öffentliche Aufgaben in diesem Sinne erfüllen Erzieherinnen und Erzieher, die eine Aufgabe wahrnehmen, die unmittelbar dem Gemeinwohl dient und an sich Sache des Staates oder der politischen Gemeinden wäre. Da die öffentlichen (staatlichen) Träger nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften die Gesamtverantwortung für die Jugendhilfe, die Sozialhilfe und die Behindertenhilfe tragen, nehmen Erzieherinnen und Erzieher die z.B. in Kindertagesstätten, in Jugendzentren, Kinderheimen, Wohnheimen für Jugendliche und Erwachsene, Frauenhäusern, Fachkliniken für Suchtkranke, Behindertenwerkstätten usw. tätig sind, öffentliche Aufgaben wahr.

Daraus folgt, dass die in der Kommentarliteratur und auch vom Oberlandesgericht Köln vorgenommene Beschränkung auf die Mitarbeiter/innen kirchlicher Körperschaften des öffentlichen Rechts aus verfassungsrechtlichen Gründen sachwidrig und unzulässig ist. Die privatrechtlich organisierten kirchlichen Träger und ihre Mitarbeiter/innen können demnach die Aussageverweigerung auf folgende Begründungen stützen:

1. Der Staat würde das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verletzen, wenn er Erzieherinnen und Erzieher zu Aussagen über ihre Tätigkeit im Rahmen der Erfüllung kirchlicher Aufgaben zwingen würde.

2. Der Staat würde den Gleichheitssatz verletzen, wenn er Erzieherinnen und Erzieher im kirchlichen Dienst zu Aussagen in Verfahren zwingen würde, in denen Erzieherinnen und Erzieher, die bei staatlichen Trägern angestellt sind, aufgrund der Vorschriften des Sozialgesetzbuches ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht; denn er hat in diesen Vorschriften die bei staatlichen Sozialleistungsträgern angestellten Bediensteten verpflichtet, die Aussage über personenbezogene Daten in den meisten Strafverfahren zu verweigern.

Dadurch hat er für den staatlichen Sozialbereich dem Schutz der Persönlichkeitssphäre Vorrang eingeräumt vor dem Interesse der Strafjustiz an der Aufklärung von Straftaten und der Verfolgung der Straftäter. Deshalb würde es sich um Willkür handeln und gegen den Gleichheitssatz der Verfassung verstoßen, wenn der Staat, der seine im Sozialbereich tätigen Mitarbeiter von der Zeugnispflicht im Strafverfahren weitgehend freistellt, die kirchlichen Mitarbeiter, die nach ihrem und dem kirchlichem Selbstverständnis weder polizeiliche noch staatsanwaltschaftliche Aufgaben zu erfüllen haben, zu Aussagen zwingen würde. Die Vertrauenswürdigkeit der kirchlichen Mitarbeiter und der kirchlich/caritativen Träger könnte dadurch nachhaltig erschüttert werden.

Wegen der besonderen rechtlichen Problematik, die im Rahmen dieser Ausführungen nicht vollständig behandelt werden kann, wird dringend empfohlen, in Konfliktfällen sachkundigen Rat und Unterstützung bei den zuständigen kirchlichen Stellen einzuholen; denn in der einschlägigen juristischen Literatur und in der Fachliteratur zur sozialen Arbeit werden die verfassungsrechtlichen Grundlagen der caritativen/diakonischen Arbeit und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren in der Regel übersehen (z.B. von Ensslen, Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 1999, S.121 [125] und von Feuerhelm, Sozialmagazin, 1999, S.16ff).


Zum Zeugnisverweigerungsrecht in anderen Verfahren

In allen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, die keine Strafverfahren sind, hat der Schutz einer jeden beruflich bedingten Vertrauensbeziehung zwischen Menschen absoluten Vorrang vor dem Ermittlungsinteresse von Behörden und Gerichten. Dies ergibt sich aus der gesetzliche n Regelung § 383 Abs. 1 Nr.6 Zivilprozessordnung, die entsprechend für die anderen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gilt. Alle Mitarbeiter/innen im kirchlichen Dienst, denen in ihrer beruflichen Eigenschaft Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung sich aus der Natur der Sache ergibt, weil es sich um Tatsachen aus der Intim- oder Persönlichkeitssphäre handelt, sind nicht nur berechtigt, sondern wegen ihre Pflicht zur Achtung des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen verpflichtet, die Aussage in Zivilprozessen, Sorgerechtsverfahren, Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren zu verweigern. Sie dürfen das Zeugnis nur dann nicht verweigern, wenn die Betroffenen sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden haben.

Dagegen würde die Aussagegenehmigung des Dienstvorgesetzten die Aussagesperre nicht aufheben, weil der Dienstvorgesetzte nicht über das Persönlichkeitsrecht der Menschen verfügen kann, die sich einem Mitarbeiter persönlich anvertrauen. Soweit eine Schweigepflicht einer Mitarbeiterin / eines Mitarbeiters besteht, ist der Dienstgeber vielmehr auf Grund seiner Fürsorgepflicht gehalten, alles zu unterlassen, was die/den Mitarbeiter/in in einen Konflikt mit der Schweigepflicht bringen könnte (BAG, Urteil v. 13.1.1987, AP Nr.3 zu § 23 BDSG; Gutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Nachrichtendienst, 1997, 22).

HGP
(bis auf wenige Ausnahmen wortgleich entnommen aus: ZMV "Die Mitarbeitervertretung" Heft 6/99)

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