Wahlschutz bei der Mitarbeitendenvertretungswahl
Um die Rahmenbedingungen für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Mitarbeitendenvertretungswahl (MAV-Wahl) zu gewährleisten, hat die Landessynode in § 13 Mitarbeitendenvertretungsgesetz (MVG) bestimmt, dass die Wahl in keiner Weise behindert werden darf und die Dienststelle (DL) die Kosten der Wahl trägt.
Mit den Bestimmungen über den Wahlschutz in § 13 MVG soll die freie und unter jedem Gesichtspunkt unbeeinträchtigte Einleitung und Durchführung der MAV-Wahl gesichert werden. Die Wahlschutzbestimmungen stellen zwingendes Recht darf, auf das Arbeitnehmer (AN) rechtswirksam nicht verzichten können. Sie werden ergänzt durch die besonderen Kündigungsschutzbestimmungen des § 13 Abs. 3 MVG und § 15 Abs. 3 ff KSchG .
Verbot der Behinderung der MAV-Wahl
Das Gesetz geht von einem weiten Verständnis des Begriffs "Wahl" aus. Unter das Behinderungsverbot fallen daher nicht nur die Wahlwerbung und die Stimmabgabe selbst, sondern alle Handlungen, Betätigungen und Geschäfte, die für eine ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung der MAV-Wahl erforderlich sind.
Eine Behinderung der Wahl liegt auch vor, wenn die DL ihr obliegenden Verpflichtungen nicht nachkommt (Weigerung, Wahlräume oder sachliche Mittel wie Stimmzettel zur Verfügung zu stellen), die Bekanntgabe von Einladungen zur Wahl eines Wahlvorstandes verbietet oder erschwert, die Erfüllung ihrer Mitwirkungspflichten bei der Erstellung der Wählerliste verzögert oder verhindert oder die im Betrieb vertretene Gewerkschaft bei Wahrnehmung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Unterstützungsfunktion behindert.
Besonders hervorgehoben wird in § 13 Abs. 1 S. 2 MVG das Verbot, einzelne AN in der Ausübung ihres aktiven und passiven Wahlrechts zu behindern. Die Ausübung des Wahlrechts umfasst dabei alle mit der Vorbereitung und Durchführung der MAV-Wahl zusammenhängenden Handlungen. Anweisungen der DL, die sich auf die Art und Weise der Ausübung der Wahlbefugnisse des einzelnen Wahlberechtigten beziehen, stellen ebenfalls einen Verstoß gegen § 13 Abs. 1 S. 2 MVG dar, auch wenn sie in Form von "Hinweisen" oder "Empfehlungen" erfolgen. Die Ausübung des Wahlrechts ist grundsätzlich der Weisungsbefugnis der DL entzogen.
Hat die Ausübung der Wahlbefugnisse durch den AN die Zufügung von Nachteilen durch die DL (z.B. Zuweisung schlechterer Arbeiten, Behinderung des beruflichen Fortkommens, Zulagen- oder Gratifikationskürzungen, Versetzung) nach Abschluss der MAV-Wahl zur Folge, ohne dass diese Benachteiligungen vorher angedroht wurden, fällt dies zwar nicht unter das Behinderungsverbot gemäß § 13 Abs. 1 MVG, stellt aber in jedem Fall einen Verstoß gegen das allgemeine Maßregelungsverbot dar (§ 612a BGB). Entsprechende Maßnahmen der DL sind nichtig (§§ 134, 136 BGB) und können Schadensersatzansprüche des betroffenen AN auslösen.
Sonderkündigungsschutz
Die Kündigung von AN mit dem Ziel, AN, die eine MAV-Wahl einleiten, Wahlberechtigte, Wahlbewerber oder Wahlvorstandsmitglieder aus dem Betrieb zu entfernen, stellt eine der schwerwiegendsten Formen der Behinderung der MAV-Wahl durch die DL dar.
Der Gesetzgeber hat daher in Ergänzung der Wahlschutzbestimmungen des § 13 MVG im § 15 Abs. 3 ff KSchG besondere Kündigungsschutzbestimmungen für Wahlbewerber, AN, die eine MAV-Wahl initiieren, und Mitglieder des Wahlvorstands vorgesehen.
Ordentliche Kündigung unzulässig
Nach § 15 Abs. 3 KSchG ist die ordentliche Kündigung von Wahlbewerbern und Mitgliedern des Wahlvorstands unzulässig. Unter dieses Kündigungsverbot fallen auch Änderungskündigungen, nicht aber sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Eigenkündigung des AN, Aufhebungsvertrag, Zeitablauf durch Befristung). Die für den Beginn des Kündigungsschutzes maßgeblichen Voraussetzungen müssen erst zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung vorliegen, nicht bereits zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung oder etwa der Entstehung des Kündigungsgrundes.
Für Wahlbewerber beginnt der Kündigungsschutz mit dem Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags. Die Aufstellung eines solchen setzt voraus, dass der Wahlbewerber formell in einen Wahlvorschlag (oder eine Vorschlagsliste) aufgenommen wurde und die erforderliche Mindestanzahl von Stützunterschriften für den Wahlvorschlag von wahlberechtigten AN vorliegt. Ob es für den Beginn des Kündigungsschutzes neben der Aufstellung des Wahlvorschlags zusätzlich auf den Vollzug der Bestellung oder Wahl des Wahlvorstandes ankommt, ist umstritten, im Ergebnis aber zu verneinen.
Voraussetzung für den Kündigungsschutz ist nicht, dass der Wahlbewerber zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits sechs Monate dem Betrieb angehört (§ 10 Abs. 1 MVG). Es ist ausreichend, wenn am Tag der MAV-Wahl die sechsmonatige Betriebszugehörigkeit besteht. Der Kündigungsschutz entfällt nicht, wenn die Vorschlagsliste durch Streichung von Stützunterschriften gemäß § 6 Abs. 2 WO-MVG-Badenung (WO) ungültig wird. Unschädlich für die Aufrechterhaltung des Kündigungsschutzes ist ebenfalls die Nichtigkeit der MAV-Wahl.
Für Mitglieder des Wahlvorstands beginnt der Kündigungsschutz mit dem Zeitpunkt ihrer Bestellung bzw. Wahl. Nicht in den Genuss des Kündigungsschutzes kommen Mitglieder des Wahlvorstands, die in nichtiger Wahl gewählt wurden.
Ersatzmitglieder des Wahlvorstands fallen ab dem Zeitpunkt unter den Kündigungsschutz, ab dem sie für ein ausgeschiedenes oder vorübergehend verhindertes Mitglied des Wahlvorstands nachgerückt sind. Der Kündigungsschutz für Wahlbewerber und Mitglieder des Wahlvorstands endet mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses (§ 15 Abs. 3 KSchG).
Nachwirkender Kündigungsschutz
Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die ordentliche Kündigung eines Wahlbewerbers oder eines Mitglieds des Wahlvorstands im Rahmen des sog. nachwirkenden Kündigungsschutzes für weitere sechs Monate unzulässig (§ 15 Abs. 3 S. 2 KSchG und § 13 Abs. 3 Satz 2 MVG). Tritt ein Mitglied des Wahlvorstands von seinem Amt zurück, beginnt der sechsmonatige nachwirkende Kündigungsschutz bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts. Dies gilt ebenfalls für Wahlbewerber, die vorzeitig aus dieser Funktion ausscheiden. Endet das Amt des Mitglieds eines Wahlvorstands durch gerichtliche Abberufung (§ 13 Abs. 3 S. 5 MVG), entfällt der nachwirkende Kündigungsschutz (§ 15 Abs. 3 S. 2 a.E. KSchG).
Bei der Berechnung der Sechs-Monats-Frist ist der Tag der Bekanntgabe des Wahlergebnisses, des Endes der Amtszeit des Wahlvorstandsmitglieds oder des Ausscheidens aus der Funktion des Wahlbewerbers nicht mitzurechnen (§§ 187, 188 BGB).
Außerordentliche Kündigung
Gegenüber Wahlbewerbern und Mitgliedern des Wahlvorstands ist bis zum Tag der Bekanntgabe des Wahlergebnisses eine außerordentliche Kündigung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nur zulässig, wenn die MAV der beabsichtigten Kündigung zugestimmt oder das Arbeitsgericht die verweigerte Zustimmung der MAV auf Antrag der DL ersetzt hat (§§ 13 MVG, 15 Abs. 3 KSchG). In Betrieben ohne MAV hat die DL die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung in Analogie der Bestimmungen im BertVG direkt beim Arbeitsgericht zu beantragen.
Ab Beginn des nachwirkenden Kündigungsschutzes für ehemalige Wahlbewerber und Mitglieder des Wahlvorstands ist von der DL das Zustimmungsersetzungsverfahren bei beabsichtigten außerordentlichen Kündigungen gem. § 13 MVG nicht mehr einzuhalten. In diesem Fall hat die DL analog § 102 BetrVG lediglich das Anhörungsverfahren zu beachten.
Sonderkündigungsschutz für Wahlinitiatoren
Für AN, die zur Wahl eines Wahlvorstandes einladen (§ 7 Abs. 1 MVG) und damit die Initiative zur Einleitung einer MAV-Wahl ergreifen, sieht § 15 Abs. 3a KSchG einen Schutz vor ordentlichen Kündigungen vor. Dieser Schutz gilt vom Zeitpunkt der Einladung bzw. der Antragstellung an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses und ist beschränkt auf die ersten drei in der Einladung aufgeführten AN. Wird trotz der Initiative der AN ein MAV nicht gewählt, besteht der Kündigungsschutz vom Zeitpunkt der Einladung an für drei Monate.
Kündigungen, die von der DL ausgesprochen werden, bevor für die betroffenen AN der besondere Kündigungsschutz der §§ 13 MVG, 15 Abs. 3 ff KSchG eintritt, sind unwirksam, wenn mit ihnen z.B. beabsichtigt ist, der Unkündbarkeit künftiger Wahlbewerber oder Mitglieder des Wahlvorstands zuvor zu kommen, die betroffenen AN in der Ausübung ihrer Wahlbefugnisse einzuschränken oder die MAV-Wahl insgesamt zu verhindern. Mit derartigen auf die Behinderung der Einleitung und Durchführung der MAV-Wahl abzielenden Kündigungen sind vor allem AN in Dienststellen oder Einrichtungen konfrontiert, in denen erstmals ein MAV gewählt werden soll. Sie sind wegen Verstoßes gegen § 13 Abs. 1 MVG iVm. § 134 BGB nichtig.
Die Beweislast dafür, dass die Kündigung mit dem Ziel der Behinderung der MAV-Wahl ausgesprochen wurde, obliegt zwar grundsätzlich dem AN. War der DL jedoch bei Ausspruch der Kündigung die aktive Beteiligung des betroffenen Beschäftigten an den Vorbereitungen zur Einleitung einer MAV-Wahl, dessen bevorstehende Bestellung bzw. Wahl als Wahlvorstandsmitglied oder Aufstellung als Wahlbewerber bekannt und/oder hat die DL in der Vergangenheit bereits eine Mitarbeitendenvertretungsfeindliche Haltung erkennen lassen, kommt es durch die Anwendung der Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins zu einer Umkehr der Beweislast.
Wahlvorstandsmitglieder und Wahlbewerber sind gemäß § 13 Abs. 2 MVG außerdem gegen Versetzungen oder Abordnungen geschützt, um sie vor Verlust ihres Amtes bzw. ihrer Wählbarkeit zu schützen. In diesen Fällen sind Versetzungen oder Abordnungen an die Zustimmung der Wahlvorstandsmitglieder und Wahlbewerber gebunden. Über Streitigkeiten darüber müsste gemäß § 60 Abs. 1 MVG die Kirchengerichtliche Schlichtungsstelle entscheiden.
Die DL hat anlässlich der Einleitung und Durchführung der MAV-Wahl als sozialer Gegenspieler der MAV strikt Neutralität zu bewahren und vor allem jede Meinungsäußerung oder Handlung zu unterlassen, die geeignet sein könnte, auf die Art und Weise der Durchführung der MAV-Wahl oder die Wahlentscheidung der einzelnen AN Einfluss zu nehmen. Dies ergibt sich im Übrigen bereits analog anwendbar aus den vom Gesetzgeber in § 2 Abs. 1, § 75 Abs. 2 BetrVG vorgesehenen allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten der DL.
Verboten ist die Wahlbeeinflussung durch Zufügung von Nachteilen (z.B. Versetzung, Zulagen- oder Gratifikationskürzungen) oder die Androhung von Nachteilen.
Verbot der Wahlwerbung durch die DL
Die direkte oder indirekte Parteinahme und Propaganda der DL zu Gunsten bestimmter Wahlbewerber ist grundsätzlich unzulässig. Die Wahlwerbung der in der Dienststelle oder in der Einrichtung vertretenen Gewerkschaft für oder gegen einen bestimmte Wahlbewerber wird durch das Verbot der unzulässigen Wahlbeeinflussung dagegen nicht berührt. Das Recht der AN und der Gewerkschaften zur Wahlwerbung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit), Art. 9 Abs. 3 GG (Koalitionsfreiheit), der betriebsverfassungsrechtlichen Unterstützungsfunktion der Gewerkschaften und den allgemeinen, für freie Wahlen geltenden Grundsätzen.
Immanenter und zulässiger Bestandteil jedes Wahlkampfes ist der inhaltliche Meinungsstreit, der im Ton und in der Sache auch hart und kritisch geführt werden kann. Der Begriff der "Sachlichkeit " ist in diesem Zusammenhang kein geeignetes Kriterium, um zulässige von unzulässiger Wahlpropaganda abzugrenzen. Zulässige Wahlwerbung findet ihre Grenzen in straf- und zivilrechtlich relevanten Meinungsäußerungen.
Rechtliche und praktische Folgen bei Zuwiderhandlung
Liegt eine rechtswidrige Behinderung oder Beeinflussung der MAV-Wahl vor, kommt es zunächst darauf an, durch geeignete Gegenmaßnahmen die ordnungsgemäße Durchführung der MAV-Wahl kurzfristig sicherzustellen. Dies gilt vor allem dann, wenn die MAV-Wahl bereits eingeleitet ist. Soweit dieses Ziel allein durch Aufklärung der Beschäftigten, etwa in persönlichen Gesprächen, auf einer Mitarbeitendenversammlung oder durch schriftliche Information, und durch innerbetriebliche Auseinandersetzung mit der DL nicht zu erreichen ist, kann zur Abwehr unzulässiger Beeinträchtigungen der MAV-Wahl ein kirchengerichtliches Beschlussverfahren - in der Regel im Wege der einstweiligen Verfügung - eingeleitet werden. Das Ziel derartiger Verfahren kann darin bestehen, der DL gerichtlich die rechtswidrige Behinderung oder Beeinflussung der MAV-Wahl zu untersagen oder sie zu bestimmten Handlungen verpflichten zu lassen.
Antragsberechtigt können, je nach konkreter Fallgestaltung, der Wahlvorstand, die noch amtierende MAV, die in der Dienststelle oder in der Einrichtung vertretene Gewerkschaft oder einzelne AN der Dienststelle oder der Einrichtung sein. Werden AN unter Verstoß gegen §§ 13 MVG, 3a KSchG gekündigt und/oder mit sofortiger Wirkung suspendiert bzw. mit einem Hausverbot belegt, kann - von der erforderlichen Klage der Feststellung der Unwirksamkeit dieser Maßnahmen einmal abgesehen - beim Arbeitsgericht mit einer einstweiligen Verfügung die Weiterbeschäftigung und ggf. der Zutritt zur Dienststelle oder zur Einrichtung durchgesetzt werden.
Der Wahlvorstand ist z.B. berechtigt, durch Beantragung einer einstweiligen Verfügung sicherzustellen, dass einem fristlos gekündigten und mit Hausverbot belegten Wahlvorstandsmitglied der Zutritt zur Dienststelle oder zur Einrichtung gewährt wird, um dem Mitglied die Teilnahme an Sitzungen des Wahlvorstands zu ermöglichen. Auch einem mit Zustimmung der MAV gekündigten Wahlbewerber, der durch eine Klage beim Arbeitsgericht geltend macht, die fristlose Kündigung sei unwirksam, ist der Zutritt zur Dienststelle oder zur Einrichtung zu gewähren, um Kontakt mit den Wahlberechtigten aufzunehmen.
Eine Behinderung des Wahlvorstands fällt selbst dann unter § 13 MVG, wenn der Wahlvorstand nicht rechtmäßig gebildet wurde. Die DL ist in diesem Fall nicht zur eigenmächtigen Behinderung des Wahlvorstands befugt, sondern muss den Gerichtsweg beschreiten.
Kosten der Wahl trägt die DL
§ 13 Abs. 4 MVG geht vom Grundsatz aus, dass die DL alle im Zusammenhang mit der MAV-Wahl entstehenden Kosten zu tragen hat.