Bürgerarbeit
Die "Bürgerarbeit" hat die ehemaliegen "1-Euro-Jobs" abgelöst. Wie Kirche und Diakonie die Bürgerarbeit einschätzen, welche Regelungen zu beachten sind, wenn "Bürgerarbeiterinnen und -arbeiter" im Bereich von Kirche und Diakonie eingesetzt werden sollen, können durch untenstehende Rundschreiben der Evangelischen Landeskirche in Baden eingesehen werden.
Rundschreiben des Evangelischen Oberkirchenrat 2/2011 vom 22. Februar 2011
Rundschreiben des Evangelischen Oberkirchenrat 3/2011 vom 12. Juli 2011
Stellungnahme des DW-Baden zum Modellprojekt "Bürgerarbeit"
Rundschreiben 2/2011 vom 22. Februar 2011
Modellprojekt "Bürgerarbeit"
hier: Arbeitsrechtliche Aspekte
Sehr geehrte Damen und Herren,
In obiger Sache geben wir folgende Hinweise:
1. Vorbemerkung
2. Tarifliche Grundlagen für Bürgerarbeit
3. Mindestentgelt für Bürgerarbeit
4. Betriebliche Altersversorgung
5. Befristung des Arbeitsverhältnisses
6. Beteiligung der Mitarbeitervertretung
7. Haushaltsrechtliche Vorgaben
1 Vorbemerkung
Mit dem Modellprojekt "Bürgerarbeit" nach dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung sollen zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeitsplätze i.S.v. § 261 SGB III für Erwerbslose, bei denen eine Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt nicht möglich war, geschaffen und gefördert werden. Nach Phasen der Beratung, Vermittlungsbemühungen und Qualifizierungsmaßnahmen soll in der vierten Phase die eigentliche Bürgerarbeit folgen.
Aus Eingliederungsmitteln der Bundesagentur für Arbeit und dem Europäischen Sozialfonds des Bundes sollen bundesweit rd. 34.000 Arbeitsplätze für drei Jahre ab 15. Januar 2011 finanziert werden. Die Förderung erfolgt durch Zuwendungen des Bundes auf Basis der §§ 23 und 44 der Bundeshaushaltsordnung im Wege der Projektförderung als Festbetragsfinanzierung in Form eines nicht rückzahlbaren Zuschusses zum Arbeitsentgelt und zum Sozialversicherungsaufwand des Arbeitgebers. Die einzelnen Förderungsbedingungen, den Förderumfang und das Verfahren entnehmen Sie bitte dem "Leitfaden für Bürgerarbeit" des Bundesverwaltungsamts aus dem Internet unter http://www.bva.bund.de/nn_1968556/DE/Aufgaben/Abt__II/esf-projekte/Buergerarbeit/Foerdergrundlagen/Download__Leitfaden.html.
Dieses Rundschreiben 2/2011 soll lediglich zur Klärung der arbeitsrechtlichen Fragen einer Beschäftigung im Rahmen der "Bürgerarbeit" beitragen und nimmt keine fachliche Stellung zu diesem Modellprojekt. Das Diakonische Werk der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V. und der Evangelische Oberkirchenrat beabsichtigen hierzu eine Stellungnahme abzugeben.
2 Tarifliche Grundlagen für Bürgerarbeit
Nach Informationen der Arbeitgeberverbände an die Kommunen sind Beschäftigungsverhältnisse nach dem Modellprojekt "Bürgerarbeit" nicht vom Geltungsbereich des TVöD erfasst. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bezog auf Anfrage der Arbeitgeberverbände zu dieser Frage Stellung und teilte am 14. Oktober 2010 mit, dass die Öffnungsklausel des § 1 Abs. 2 Buchst. k TVöD für Beschäftigte, die Arbeiten nach §§ 260 ff. SGB III verrichten, auch für Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen des Modellprojekts "Bürgerarbeit" gilt, und dadurch die Anwendung des TVöD ausgeschlossen ist. Dies folgt daraus, dass sowohl Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach §§ 260 ff. SGB III als auch Beschäftigungsverhältnisse nach dem Modellprojekt "Bürgerarbeit" zusätzlich eingerichtet und im öffentlichen Interesse sein müssen.
Die Arbeitsrechtlichen Kommission der Evangelischen Landeskirche in Baden hat sich in der Sitzung der Grundsatzkommission am 22. Dezember 2010 mit der Frage der Anwendung des TVöD nach Maßgabe der Arbeitsrechtsregelung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (AR-M) auf Beschäftigungsverhältnisse nach dem Modellprojekt "Bürgerarbeit" befasst und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass unbeschadet der Frage, ob die oben zitierte Ausnahmebestimmung zum TVöD Anwendung findet, die Spezialregelung des § 4 Nr. 1 Abs. 2 AR-M für diese Beschäftigungsverhältnisse anzuwenden ist. Hiernach gilt der TVöD nach Maßgabe der AR-M nicht für "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die lediglich aus erzieherischen, therapeutischen oder kari-tativen Gründen beschäftigt werden, wenn dies spätestens mit der Aufnahme der Beschäftigung schriftlich vereinbart worden ist, sowie leistungsbehinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in besonders für sie eingerichteten Werkstätten beschäftigt werden". Ein neues Arbeitsvertragsmuster hierzu ist in unserem Intranet unter Portal/Infos und Produkte/Gesamtansicht/Arbeitsrecht Arbeitsvertragsmuster abrufbar.
Auf Beschäftigungsverhältnisse, für die der TVöD nach Maßgabe der AR-M keine Anwendung findet, gelten die Bestimmungen der §§ 611 bis 630 BGB, sofern arbeitsvertraglich keine günstigeren Arbeitsbedingungen vereinbart werden.
3 Mindestentgelt für Bürgerarbeit
Das Entgelt ist arbeitsvertraglich festzulegen, wobei nach 3.1 des Leitfadens das Bruttoarbeitsentgelt bei 30 Wochenarbeitsstunden mindestens 900,- Euro betragen muss, bei 20 Wochenarbeitsstunden mindestens 600,- Euro. Die maximale Förderhöhe und den förderfähigen Sozialversicherungsaufwand entnehmen Sie bitte dem Leitfaden.
Nicht gefördert werden Beiträge zur Berufsgenossenschaft, Beiträge zur Zusatzversorgungskasse, vermögenswirksame Leistungen, Jahressonderzahlungen, Sterbegeld, Überstunden und Urlaubsabgeltungen.
Über die Förderung hinausgehende Personalkosten sind aus Eigenmittel zu finanzieren. Über die haushaltsrechtlichen Vorgaben siehe nachfolgende Ausführungen unter Ziffer 7.
4 Betriebliche Altersversorgung
Dem Geltungsbereich des Tarifvertrags über die zusätzliche Altersvorsorge der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes - Altersvorsorge-TV-Kommunal - (ATV-K) und des Tarifvertrags über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (ATV), jeweils vom 1. März 2002, unterliegen Beschäftigte nur dann, wenn Sie unter einen Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes fallen, der in der Anlage zum ATV-K bzw. ATV genannt ist. Da wie in Ziffer 2 ausgeführt ein entsprechender Tarifvertrag nicht anzuwenden ist, besteht auch keine Pflichtversicherung der Beschäftigten zur betrieblichen Altersversorgung bei der für den Anstellungsträger zuständigen Zusatzversorgungskasse.
5 Befristung des Arbeitsverhältnisses
Die Arbeitsstellen können maximal für 36 Monate und längstens bis zum 31. Dezember 2014 gefördert werden. Eine Befristung eines über die Dauer von zwei Jahren hinausgehenden Arbeitsverhältnisses ist nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes nach § 14 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) zulässig. Hier kämen folgende Befristungsgründe in Betracht:
1. Der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung ist nur vorübergehend (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG)
Es müsste sich demnach um einen vorübergehenden betrieblichen Mehrbedarf handeln. Da nach den Förderbedingungen die Arbeitsplätze im Rahmen der Bürgerarbeit für "zusätzliche" und im "öffentlichen Interesse" liegende Arbeiten bereitzustellen sind, scheidet die Inanspruchnahme o. g. Sachgrundes u. E. grundsätzlich aus.
2. In der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe rechtfertigen die Befristung (§ 14 Abs. 1 Nr. 6 TzBfG)
Nach Kommentierung zur Befristung aus personenbedingten Gründen müssen soziale Gründe für die Befristung im Vordergrund stehen. Die sozialen Erwägungen des Arbeitgebers müssen dem Interesse des Arbeitnehmers an einer unbefristeten Beschäftigung feststellbar überwiegen (BAG vom 12.12.1985, AP Nr. 96 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag). Die Befristung ist nur gerechtfertigt, wenn ohne den sozialen Überbrückungszweck das Arbeitsverhältnis überhaupt nicht, und zwar auch nicht als befristetes Arbeitsverhältnis, begründet worden wäre.
Wir halten diesen Sachgrund für befristete Arbeitsverhältnisse nach dem Modellprojekt "Bürgerarbeit" für einschlägig.
6 Beteiligung der Mitarbeitervertretung
Die Mitarbeitervertretung ist bereits bei der Vorbereitung von Maßnahmen nach dem Modellprojekt "Bürgerarbeit" im Wege des Informationsrechts nach § 34 Abs. 1 Mitarbeitervertretungsgesetz (MVG) zu informieren und soll an der Planung beteiligt werden.
Nach 5.3 des Leitfadens lässt sich der Arbeitgeber vor Abschluss des Arbeitsvertra-ges von der betreuenden Grundsicherungsstelle (Arbeitsgemeinschaften, zugelassene kommunale Träger oder Agentur für Arbeit) das Vorliegen der personenbezogenen Förderungsvoraussetzungen mit der Zuweisung des Arbeitnehmers bescheinigen. Die Zuweisung der Grundsicherungsstelle ist eine öffentlich-rechtliche Regelung und als "einstellungsgleiche Maßnahme" nach § 42 Buchstabe a) MVG zu beurteilen. Vor Einstellung einer Mitarbeiterin bzw. eines Mitarbeiters nach dem Modellprojekt "Bürgerarbeit" ist daher die Zustimmung der Mitarbeitervertretung einzuholen.
7 Haushaltsrechtliche Vorgaben
Im Einvernehmen mit dem Referat 8, Abteilung Gemeindefinanzen/Liegenschaften in unserem Hause, sind Arbeitsplätze, die im Rahmen der Bürgerarbeit zusätzlich und im öffentlichen Interesse eingerichtet werden, haushaltsrechtlich nicht als Stellen im Stellenplan auszuweisen bzw. nachträglich einzurichten. Diese haushaltsrechtliche Betrachtung ergibt sich zum einen daraus, dass es sich hier nicht um Arbeitsplätze handelt, die zur originären Aufgabenerfüllung des Anstellungsträgers erforderlich sind - es handelt sich um temporäre zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben -, und zum anderen nach den Förderbedingungen eine Zusätzlichkeit nur zu bejahen ist, wenn die Arbeiten die Kapazitätsgrenze der vorhandenen Planstellenkräfte übersteigen (Nr. 3.6.1.3 des Leitfadens).
Gleichwohl ist ein Vorhaben nach dem Modellprojekt "Bürgerarbeit" haushaltsrechtlich eine Maßnahme, die künftige Haushalte belastet und bedarf als solche vor ihrer Ausführung der Genehmigung durch den Evangelischen Oberkirchenrat nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 des kirchlichen Gesetzes über die Vermögensverwaltung und die Haushaltswirtschaft in der Evangelischen Landeskirche in Baden. Die Genehmigung ist vor der Einleitung des Antragsverfahrens nach Nr. 8 des Leitfadens zu beantragen.
Die für die Genehmigung zuständige Abteilung Gemeindefinanzen bittet, dem Genehmigungsantrag einen Finanzierungsplan mit dem Nachweis der Eigenfinanzierung der Maßnahme, eine Begründung, dass es sich um temporäre zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben handelt, eine Tätigkeitsbeschreibung und sofern erforderlich, eine fachlich befürwortende Stellungnahme des Diakonischen Werkes unserer Landeskirche beizufügen.
Rundschreiben 3/2011
Modellprojekt "Bürgerarbeit"
hier: Stellungnahme zum Modellprojekt Bürgerarbeit
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir haben Sie mit Rundschreiben 2/2011 vom 22. Februar 2011 über die arbeitsrechtlichen Aspekte zum Modellprojekt "Bürgerarbeit" informiert und darauf hingewiesen, dass das Diakonische Werk der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V. und der Evangelische Oberkirchenrat beabsichtigen, eine Stellungnahme hierzu abzugeben.
Das Kollegium des Evangelischen Oberkirchenrats hat nun die beigefügte Stellungnahme des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V. vom 9. Juni 2011 zum Modellprojekt "Bürgerarbeit" zur Kenntnis genommen und beschlossen, dass die Stellungnahme auch den Einrichtungen der Evangelischen Landeskirche in Baden zugänglich gemacht wird.
Wir bitten Sie, die beigefügte Stellungnahme Ihren angeschlossenen Einrichtungen mit dem nachdrücklichen Hinweis zur Kenntnis zu bringen, dass die in der Stellungnahme getroffenen Empfehlungen beachtet werden.
Das Diakonische Werk der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V.
Karlsruhe, 9. Juni 2011
Stellungnahme zum Modellprojekt "Bürgerarbeit"
Vorbemerkungen
Die "Bürgerarbeit" ist beschlossen und wird in Baden-Württemberg modellhaft in ausgewählten Bezirken umgesetzt - nicht flächendeckend. Ausführend beteiligt sind in Baden:
Agentur für Arbeit, ARGE Heidelberg, ARGE Emmendingen, ARGE Freiburg, ARGE Karlsruhe, ARGE Landkreis Lörrach, ARGE Mannheim, ARGE JC Stadt Pforzheim, JobCenter Landkreis Konstanz ARGE, Landratsamt Ortenaukreis / Kommunale Arbeitsförderung zkT, Landratsamt Waldshut zkT, Rhein-Neckar-Kreis gAw.
In Württemberg sind nur 3 Modellregionen ausgerufen: ARGE zur Beschäftigungsförderung im Ostalbkreis, ARGE JC Stuttgart, ARGE JobCenter Heidenheim.
Zurzeit wird u. W. nach von den örtlichen Diakonischen Werken an 4 Standorten konkret über das Angebot von Bürgerarbeitsplätzen verhandelt: in Emmendingen, Lörrach, Waldshut und Mannheim.
Die Ausgestaltung der Bürgerarbeitsplätze ist "im Werden" begriffen, deshalb gibt es viele Klärungsbedarfe. Außerdem können örtliche Unterschiede in der Ausgestaltung auftreten.
Die Evangelische Landeskirche in Baden hat mit Rundschreiben 2/2011 die wesentlichen arbeitsrechtlichen Fragen einer Beschäftigung im Rahmen der Bürgerarbeit zusammengestellt.
Fachliche Stellungnahme
1. Wir halten "Bürgerarbeit" von ihrer Konzeption her für höchst bedenklich. Die "Bürgerarbeit" ist noch restriktiver geregelt als die Arbeit durch "Ein-Euro-Jobs", denen wir seit ihrer Einführung ebenfalls kritisch gegenüberstehen. Wir haben sozialethische Probleme mit den "Zwängen", die in diesem Konstrukt vorhanden sind, bis hin zur Koppelung an den Wegfall des Leistungsbezugsrechts.
2. Unsere Hauptkritik besteht darin, dass nach der "Aktivierungsphase" die "übrig gebliebenen" Kandidat/ -innen, die den Sprung in den Ersten Arbeitsmarkt eben nicht geschafft haben, Bürgerarbeitsplätze ausfüllen müssen, ohne jede fachliche Begleitung, Tagesstrukturierung usw. und ohne jede Regeleistung des Kostenträgers an die Anbieter. Das ist genau die Personengruppe, die - von wenigen Ausnahmen abgesehen - unserer Erfahrungen nach so weit vom Ersten Arbeitsmarkt entfernt ist, dass sie auch die Leistungsanforderungen, die die "Bürgerarbeit" an sie stellt, eben nicht erbringen kann und damit schutzlos dem Sanktionsdruck ausgesetzt ist.
3. Der Einsatz von "Bürgerarbeit" in der verfassten Kirche und Diakonie ist nach den konzeptionellen Vorgaben des Modellprojekts nicht vorgesehen. Alleine die Tatsache, dass die öffentlichen Verwaltungen nicht genügend Plätze zur Verfügung stellen (können), bringt die Freien Träger, Kirche und Diakonie ins Spiel.
Nach Berechnung der beteiligten Jobcenter unter Berücksichtigung der rechtlichen Vorgaben ist mit dem Einsatz von Eigenmitteln der Träger in Höhe von 300 bis 500 Euro/Monat (je Stelle "Bürgerarbeit") verbunden - es sind eben keine Mittel für Regieleistungen, Unterstützung am Arbeitsplatz und sozialpädagogische Begleitung vorgesehen.
Da "Bürgerarbeit" nicht "produktiv" sein darf, d.h. keine "Geldwerte" durch den Einsatz für den Träger erwirtschaftet werden dürfen, kann der Fehlbetrag nicht durch den Einsatz ausgeglichen werden -, das wird auch überprüft! Hier müssen die potenziellen Träger unbedingt die notwendige komplementäre Finanzierung sicherstellen und sie sollten das auch nachweisen müssen (z.B. bei notwendigen Stellenplanänderungen?)!
4. In Einzelfällen kann es denkbar sein, dass entgegen der unter Punkt 1. und 2. genannten Argumentation "Bürgerarbeit" individuell gesehen eine sinnvolle Alternative ist. Beispiel: Der Mensch, der zum Einsatz kommen soll, ist der Einrichtung/dem Träger bereits bekannt und seine Einsatz- und Leistungsfähigkeit einschätzbar. Für diesen Menschen ist "Bürgerarbeit" deshalb die einzige Alternative, weil sein Ein-Euro-Job o.ä. weggefallen ist und es für ihn persönlich, für seine weitere Erwerbsbiografie keine anderen Fördermöglichkeiten gibt.
Wesentliche sozialethische Prüfkriterien für die Ausgestaltung dieser ausnahmsweise einzurichtenden Bürgerarbeitsplätze sind: Sicherstellung der Freiwilligkeit im Zuweisungsverfahren (Beteiligung der Diakonie im Vorfeld), Sicherstellung des Wahlrecht der Betroffenen bezüglich der Einsatzfelder (nicht jeder Mensch ist für jedes Einsatzfeld geeignet. Nichteignung darf nicht sanktioniert werden), sowie Sicherstellung, dass aufgrund der auferlegten Meldepflichten des Maßnahmeträgers der Diakonie gegenüber den Jobcentern usw. keine Sanktionen erfolgen.
Sollten unter diesen Ausnahmetatbeständen Bürgerarbeitsplätze eingerichtet werden, würde es zum Diakonischen Profil gehören, auch eine sozialpädagogische Begleitung der eingesetzten Menschen aus Eigenmitteln sicherzustellen - eben weil deren Finanzierung durch die Kostenträger der Bürgerarbeit ausgeschlossen ist.
5. Die Prüfung der Einsätze ("zusätzlich", "im öffentlichen Interesse" und "wettbewerbsneutral") sowie deren finanzieller Abwicklung ist nach der harschen Kritik des Bundesrechnungshofes an den bisherigen Verfahren dem Bundesverwaltungsamt übertragen worden. Das Bundesverwaltungsamt wird vor dem Hintergrund dieser Kritik - entgegen der bisherigen Praxis - die verschärfte Prüfkriterien anlegen und alle künftigen Träger von "Bürgerarbeit", vor allem die Freien Träger, garantiert prüfen. Dies bedeutet, dass an die Konzeptionierung der Stellen und die Ausgestaltung der Beschäftigungsinhalte sowie an Administration und Verwaltung höchste Anforderungen gestellt werden.
Zusammenfassung
Zusammenfassend empfehlen wir den diakonischen Trägern, sich aus den genannten Gründen generell nicht als Träger/Partner/Einsatzstellen für "Bürgerarbeit" zur Verfügung zu stellen. Diese "Bürgerarbeit" ist einerseits für öffentliche Verwaltungen konzipiert, andererseits nach unserer Einschätzung überflüssig und für andere, sinnvollere Fördermöglichkeiten, schädlich.
Sollten sich Träger entgegen dieser Empfehlung mit der Einrichtung von "Bürgerarbeit" befassen, empfehlen wir dringend, dies auf die genannten Ausnahmen zu beschränken. Nur wenn eindeutig geklärt ist, dass diese Form der Beschäftigung auch den betroffenen Menschen individuell tatsächlich zugute kommt und sichergestellt ist, dass aus der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen durch die Diakonie keine Sanktionen abgeleitet werden können, sollte von unserer Empfehlung abgewichen werden.
Oberkirchenrat Urs Keller
Vorstandsvorsitzender