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Kommentar zu § 15 AGG
Diskriminierung von Behinderten bei der Einstellung kann für den Arbeitgeber teuer werden
Früher untersagte § 81 Abs. 2 SGB IX die Diskriminierung von Schwerbehinderten und gab dem diskriminierten Arbeitnehmer oder Bewerber einen Entschädigungsanspruch gegen den Arbeitgeber. Seit dem 18.8.2006 hat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) den Diskriminierungsschutz auf alle Behinderten erstreckt. Das Bundesarbeitsgericht hat nun …
… zur alten Rechtslage entschieden, dass auch damals schon aus europarechtlichen Gründen nicht nur Schwerbehinderte sondern Behinderte allgemein geschützt waren. Das Urteil zeigt auf, welche juristischen und finanziellen Folgen eine Diskriminierung von Stellenbewerbern für Arbeitgeber haben kann. Die Entscheidung hat auch unter der heutigen Geltung des AGG praktische Bedeutung.
Zum Fall:
In dem vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschiedenen Rechtsstreit ging es um die Entschädigungsklage einer Stellenbewerberin gegen den Arbeitgeber, der die Einstellung aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt hatte. Die klagende Stellenbewerberin und gelernte Köchin hatte eine Umschulung zur Industriekauffrau absolviert. Sie litt seit Jahren an Neurodermitis. Anfang 1994 wurde aus diesem Grund ein Grad der Behinderung von 40 durch das Versorgungsamt festgestellt. Einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen hatte die Bewerberin jedoch nicht gestellt. In den Jahren 1995 bis 2003 war sie bei einem anderen Arbeitgeber mit Bürotätigkeiten betraut und nie wegen Neurodermitis arbeitsunfähig erkrankt. Im Oktober 2003 bewarb sie sich nun beim jetzt verklagten Arbeitgeber als Angestellte für den Bereich der Parkraumbewirtschaftung. Die Anstellungsprüfungen verliefen erfolgreich. Bei der sich anschließenden ärztlichen Untersuchung legte sie den Bescheid des Versorgungsamts vor. Darauf teilte der Arbeitgeber ihr mit, dass sie wegen Neurodermitis für die Tätigkeit nicht geeignet und ihre Bewerbung deshalb erfolglos sei.
Mit ihrer Klage verlangte die abgewiesene Bewerberin eine Entschädigung aufgrund der Benachteiligung wegen ihrer Behinderung. Das Arbeitsgericht hatte ihr eine Entschädigung in Höhe von 12.000 EUR zugesprochen, das Landesarbeitsgericht hatte die Klage dagegen abgewiesen.
Das BAG gab der Bewerberin grundsätzlich Recht. Der Arbeitgeber durfte auch schon vor Inkrafttreten des AGG Stellenbewerber nicht wegen einer Behinderung ablehnen, wenn nicht das Stellenprofil einen bestimmten Gesundheitszustand erforderte. Zwar schützte das in § 81 Abs. 2 SGB IX in der bis 17.8.2006 geltenden Fassung enthaltene Diskriminierungsverbot nur schwerbehinderte Beschäftigte mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 50 sowie Gleichgestellte. Diese Vorschrift musste jedoch europarechtskonform ausgelegt werden, weil sonst die europäische Richtlinie 2000/78/EG zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf nicht ausreichend umgesetzt wäre.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) erfasst der Begriff „Behinderung“ i. S. d. Richtlinie 2000/78/EG jede Einschränkung, die auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein länger andauerndes Hindernis für die Teilhabe am Berufsleben bildet. Das Diskriminierungsverbot des § 81 Abs. 2 SGB IX war bis zum Inkrafttreten des AGG daher europarechtskonform anzuwenden und auf jegliche Behinderte zu erstrecken.
Der Arbeitgeber muss hier nun in einer erneuten Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht darlegen und beweisen, dass eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit wesentliche und entscheidende Anforderung für die Tätigkeit der Bewerberin im Bereich der Parkraumbewirtschaftung war und dass diese Voraussetzungen bei der Bewerberin (z. B. aufgrund der Neurodermitis) nicht vorgelegen haben. Gelingt dies dem Arbeitgeber nicht, hat die Bewerberin einen Entschädigungsanspruch (BAG, Urteil v. 3.4.2007, 9 AZR 823/06).
Hinweis:
Unter der heutigen Geltung des AGG würde der Anspruch auf Entschädigungszahlung ebenso bestehen und sich nach §§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 1 und 2 AGG richten. Die Behinderung ist ausdrücklich als verbotenes Diskriminierungsmerkmal in § 1 AGG genannt. Stellenbewerber dürfen deshalb wegen ihrer Behinderung nur dann abgelehnt werden, wenn ein bestimmter gesundheitlicher Zustand wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingung ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist (§ 8 AGG).
Hierbei ist zu beachten, dass eine Erkrankung nur dann eine Behinderung darstellt, wenn sie für längere Zeit Einschränkungen zur Folge hat. Eine Behinderung setzt nach § 2 Abs. 1 SGB IX voraus, dass die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit des Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate vom alterstypischen Zustand abweicht und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Im vorliegenden Fall war die Behinderung wegen der Neurodermitiserkrankung behördlich festgestellt.
Im Gerichtsprozess muss der Stellenbewerber nach § 22 AGG (nur) Indizien beweisen, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Gelingt ihm dies, muss daraufhin der Arbeitgeber beweisen, dass keine unzulässige Diskriminierung erfolgt ist. Hier erfolgte die Ablehnung ausdrücklich wegen der Erkrankung bzw. Behinderung. Auf entsprechende Begründungen bei Absagen an Stellenbewerber sollte unbedingt verzichtet werden, um keine Angriffspunkte für Entschädigungsklagen zu bieten!
Nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein diskriminierter Stellenbewerber nur dann auf die Geltendmachung von drei (fiktiven) Monatsgehältern als Entschädigung (Schmerzensgeld) beschränkt, wenn dem Arbeitgeber der Nachweis gelingt, dass der Bewerber auch ohne Diskriminierung nicht eingestellt worden wäre. Wäre er ohne die Diskriminierung dagegen eingestellt worden, ist der Entschädigungsanspruch grundsätzlich der Höhe nach unbegrenzt.
Zusätzlich (!) kann ein abgelehnter Bewerber nach § 15 Abs. 1 AGG den entgangenen Verdienst als Schadensersatz (Vermögensschaden) ersetzt verlangen. Ein Rechtsanspruch auf Einstellung besteht jedoch in keinem Fall (§ 15 Abs. 6 AGG).
Sämtliche Zahlungsansprüche muss der abgelehnte Bewerber nach §§ 15 Abs. 4 AGG, 61b ArbGG spätestens nach zwei Monaten schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen und – bei Nichterfüllung – weitere drei Monate später gerichtlich einklagen, sonst verfallen alle Ansprüche aus dem AGG. Aufgrund dieser strengen Fristregelung haben die ersten AGG-Klagen bereits die Arbeitsgerichte erreicht, höchstrichterliche Entscheidungen stehen jedoch noch aus.