Soll gemäß § 888 ZPO aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil auf Entfernung einerAbmahnung aus der Personalakte vollstreckt werden, so kann der Beklagte nur dann Erfüllung einwenden, wenn die Abmahnung gänzlich körperlich vernichtet wurde. Die nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache erfolgte “Entfernung” der Abmahnung aus einer als “Personalakte” bezeichneten Akte unter “Verschiebung” der Abmahnung in eine andere Akte oder einen anderen Dateiordner, ist zur Erfüllung nicht geeignet, wenn der Arbeitgeber zur Vervollständigung der den Arbeitnehmer betreffenden Personalvorgänge jederzeit die gespeicherten Vorgänge wieder zusammenführen kann und will.
Der Begriff der Personalakte, der dem Beamtenrecht entlehnt ist (vgl. § 90 BBG) wird sowohl im Betriebsverfassungsrecht (§ 83 Abs. 1 BetrVG) als auch im Personalvertretungsrecht (§ 68 Abs. 2 Satz 3 BPersVG) als bekannt vorausgesetzt. Die Personalakte im materiellen Sinn ist jede Sammlung von Unterlagen über einem bestimmten Arbeitnehmer des Betriebs, und zwar ohne Rücksicht auf die Form und Stelle, an der die Sammlung geführt wird. Daher fallen auch in elektronischen Datenbanken gespeicherte Personaldaten unter den materiellen Personalaktenbegriff. Auch Sonder- und Nebenakten wie Aufzeichnungen des Werkschutzes oder von Vorgesetzten oder disziplinarische Vorermittlungsakten können Bestandteile der Personalakte im materiellen Sinn sein. Entscheidend ist allein der materielle Personalaktenbegriff, denn es kann nicht darauf ankommen, ob der Arbeitgeber Schriftstücke und Unterlagen als „Personalakten“ bezeichnet1.
Eine Personalakte dient der Personalverwaltung und -bewirtschaftung. Es entspricht dem legitimen Anliegen des Arbeitgebers, dass die von ihm geführten Personalakten vollständig sind. Sie sollen möglichst lückenlos über die Person des Arbeitnehmers und seinen beruflichen Werdegang Aufschluss geben2.
Es ist somit völlig unerheblich, ob sich der vollständige Vorgang der Personalverwaltung eines Arbeitnehmers aus einer einzigen als in „Personalakte“ bezeichneten Akte ergibt oder ob einzelne Teile dieser Akte in andere Akten oder in der EDV in andere Dateiordner „verschoben“ wurden. Maßgeblich ist, ob der Arbeitgeber jederzeit zum Zwecke seiner Personalverwaltung die „verschobenen“ Teile wieder zusammenführen kann, um ein vollständiges Bild über den Arbeitnehmer zu erhalten. Dies ist vorliegend der Fall. Die Beklagte bestätigte gegenüber dem Beschwerdegericht, wenn auch nur indirekt und in Form einer Gegenfrage, die Abmahnung nicht vollständig körperlich entfernt zu haben.
Soweit die Beklagte meinte, mit einer völligen körperlichen Entfernung werde die Hauptsache vorweggenommen, so ist darauf hinzuweisen, dass Zwangsvollstreckungsmaßnahmen regelmäßig einstweilen diese Wirkung haben. Der Beklagten bleibt die Möglichkeit des Schadenersatzanspruches gem. § 717 Abs. 2 ZPO. Im Falle eines rechtskräftigen Obsiegens der Beklagten in der Hauptsache, wäre diese demnach berechtigt im Rahmen der Naturalrestitution eine wort- und inhaltsgleiche Abmahnung wieder zur Personalakte zu nehmen. Gegebenenfalls hat der Arbeitnehmer im Rahmen des Schadenersatzanspruches sein Original der Abmahnung dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. November 2012 – 4 Ta 15/12
- Becker in Kittner/Zwanziger Arbeitsrecht 5. Auflage § 55 Rn. 1 und 3?
- BAG 18.11.2008 – 9 AZR 865/07, BAGE 128,299?